Würde im Alter – das Manifest

Um was geht es beim Schweizer Manifest Rechte fragiler alter Menschen? Aufgeschreckt durch die teilweise inhumane Behandlung hochbetagter Menschen in der Covid-19-Pandemie haben wir 2021 die erste Fassung des Manifests Rechte fragiler alter Menschen entworfen.

Weshalb dieses Manifest? Der Respekt vor und die Würde von fragilen alten Menschen ist in unserer Gesellschaft zunehmend gefährdet. Das Manifest richtet sich gegen diese Entwicklung. Fragile alte Menschen, besonders Bewohner:innen von Heimen, haben keine Lobby. Das Manifest kann dazu beitragen, dass eine Lobby für ein humanes Leben fragiler alter Menschen entsteht.

Vier Jahre später sind wir zum Schluss gekommen, dass die Existenz des Manifests bisher kaum etwas bewirkt hat. Wir haben deshalb am 14. Mai 2025 in Zürich den partei- und konfessionsunabhängigen Verein «Würde im Alter (WIMA)» gegründet, der die Umsetzung des Manifests in der Schweiz anstrebt. An der Gründungsversammlung wurde die folgende finale Fassung des Manifest festgelegt. 


Schweizer Manifest
Rechte fragiler alter Menschen

Dieses Manifest umfasst Rechte für ein humanes Leben fragiler alter Menschen und einen Katalog ethischer Forderungen für den Umgang mit ihnen. Fragile alte Menschen sind ältere Menschen, die in ihrem Alltag aufgrund von chronischen Beeinträchtigungen auf die Hilfe von anderen Menschen angewiesen sind. Das Manifest legt Wert darauf, dass die Rechte und die Würde von Menschen mit einem hohem Hilfsbedarf in keinem Alter eingeschränkt werden dürfen.

Ziel des Manifestes ist die Beeinflussung von Normen, Werten und Strukturen der Gesellschaft. Zur Um- setzung des Manifests wurde am 14. Mai 2025 in Zürich der Verein «Würde im Alter (WIMA)» gegründet.

Das Manifest bietet einen allgemeinen normativen Rahmen, enthält aber keine konkreten Reformvor- schläge. Konkrete Umsetzungen sollen kontext- und organisationsspezifisch erfolgen. Was für die eine Gemeinde eine dringende Reform ist, ist in einer anderen Gemeinde bereits erfüllt. Auf kantonaler und nationaler Ebene stehen andere Themen und Reformen im Vordergrund. 

Rechte fragiler alter Menschen

1.          Selbstbestimmung

Ältere Menschen müssen auch bei Krankheit und im hohen Alter ihre Wohn- und Lebensform im Rahmen des Möglichen selber bestimmen können. Bei Bedarf sollen sie dabei unterstützt werden. Wenn betagte Menschen kognitiv nicht mehr imstande sind, ihre Interessen selber auszudrücken und zu vertreten, zum Beispiel wegen Demenz, übernehmen ihre Angehörigen oder andere Vertrauenspersonen die Aufgabe der Selbstbestimmung, auch in Alters- und Pflegeheimen. Die Interessensvertretung stützt sich womöglich ab auf gesundheitliche Vorausplanung wie Vorsorgeauftrag, Patientenverfügung und Advance Care Planning.

2.          Selbstverantwortung

Ältere Menschen wollen und sollen ihr Leben selber bestimmen und dafür auch selber die Verantwor- tung übernehmen. Dies schliesst Verantwortung für die Gemeinschaft und Gesellschaft mit ein.

Selbstverantwortung ist zentral für das Wohlbefinden und die Gesundheit bis ans Lebensende. Gesundheitsförderliches und gemeinschaftsfähiges Verhalten soll gefördert werden. Genau wie bei jungen Menschen darf dies auch bei älteren Menschen nur im absoluten Notfall erzwungen werden.

3.          Sozialer Austausch, sinnvolle Betätigung und soziale Teilhabe

Als soziales Wesen braucht der Mensch in jedem Alter den Austausch mit anderen Menschen. Auch bedürftige und abhängige ältere Menschen haben im sozialen Austausch etwas zu bieten: Erfahrungen, Erinnerungen, interessiertes Zuhören etc. Auch fragile, von Hilfe abhängige Menschen sind fähig für eine sinngebende Betätigung und soziale Teilhabe. Sie sollten dabei unterstützt werden. Dies hilft auch gegen Einsamkeit.

4.          Solidarität und soziale Sicherheit aller Altersgruppen

Eine fortschrittliche Alterspolitik achtet die Menschenrechte und unterstützt die Solidarität zwischen den Generationen, zwischen Armen und Reichen, zwischen Männern und Frauen sowie zwischen Menschen verschiedener Religionen und Ethnien. Ziele sind ein zukunftsfähiger Generationenvertrag und produktive, unterstützende Generationenbeziehungen. Die Sozialleistungen sollen in jedem Alter vor Armut schützen.

5.         Die psychosoziale Gesundheit ist gleich wichtig wie die körperliche Gesundheit

Die sozialen und psychischen Bedürfnisse alter Menschen sind gleich wichtig wie ihre körperlichen Bedürfnisse. Massnahmen zum Schutz der körperlichen Gesundheit dürfen nicht ohne Berücksichtigung der sozialen und psychischen Bedürfnisse ergriffen werden.

6.          Respekt und Achtung der Würde des Menschen bis zum Tode

Auch fragile alte Menschen müssen ihre Rechte wahrnehmen können. Sie müssen auch bei eingeschränkten physischen, psychischen oder kognitiven Fähigkeiten mit Respekt behandelt werden. Die Menschenwürde ist unantastbar bis zum Tod.

7.          Förderung von altersgerechten Rahmenbedingungen

Altersgerechte Wohnungen und altersgerechter öffentlicher Raum und Verkehr machen es auch fragilen alten Menschen möglich, autonomer zu leben, mobiler zu bleiben und sich umwelt- und ressourcenschonend zu verhalten. Unterstützt wird dies durch Anreize und verbesserte Rahmenbedingungen für altersgerechte Anwendungen moderner Technologien.

 

Unterstützung von betreuenden, pflegenden und behandelnden Personen und Institutionen

8.          Anerkennung und Unterstützung der betreuenden und pflegenden Angehörigen sowie der informell oder organisiert helfenden Freiwilligen

Hilfebedürftige und Kranke werden hauptsächlich durch betreuende und pflegende Angehörige unterstützt. Die Hilfe älterer Menschen für ältere und für jüngere Menschen muss anerkannt werden. Betreuende Angehörige müssen unterstützt werden, falls nötig auch finanziell. In Stadtquartieren und Dörfern sollen lokale sorgende Gemeinschaften von Freiwilligen gestärkt bzw. entwickelt und mit der professionellen Hilfe vernetzt werden.

9.          Unterstützung des selbstbestimmten und selbständigen Lebens und Wohnens

Viele Menschen wollen auch dann noch zuhause bleiben oder bei Angehörigen leben, wenn sie im Alltag auf Hilfe angewiesen sind. Und sie wollen auch zuhause oder bei Angehörigen sterben. Eine humane Alterspolitik und generationengerechte Baukonzepte unterstützen diesen Wunsch.

10.     Anerkennung und Unterstützung des ambulant und stationär tätigen professionellen Betreuungs-, Pflege- und Therapiepersonals

Im Sozial- und Gesundheitswesen tätige Berufsleute erhalten oft moralische Unterstützung von der Bevölkerung. Nötig sind aber in erster Linie gute Arbeitsbedingungen und Entlöhnung, die qualitativ hochstehendes Arbeiten, hohe Arbeitszufriedenheit und ein Ende des Personalmangels ermöglichen, insbesondere bei der Altenpflege. Die notwendigen materiellen und intellektuellen Ressourcen müssen zur Verfügung gestellt werden. Dadurch können auch frustrations- und stressbedingte schlechte Behandlung und Misshandlung von Heimbewohner/innen verhindert werden.

11.     Gleiche Finanzierung von ambulanter und stationärer Versorgung

Noch immer wird in der Schweiz die stationäre Versorgung in Heimen und Spitälern besser und problemloser finanziert als die ambulante Versorgung. Dies ist ungerecht und dysfunktional. Die ambulante Versorgung wird von den hilfe- und behandlungsbedürftigen Menschen meistens bevorzugt. Bei einer volkswirtschaftlich umfassenden Berechnung ist sie oft kostengünstiger als die stationäre Versorgung.

12.     Unterstützung von innovativen Versorgungskonzepten und -strukturen

Das aktuelle Versorgungssystem des Sozial- und Gesundheitswesens ist ohne Reformen in vielen Bereichen nicht zukunftsfähig. Neue technische und administrative Lösungen sowie innovative Planungs-, Führungs- und Finanzierungskonzepte müssen eingeführt werden. Dadurch können die Betreuung und die Behandlung humaner, zweckmässiger, effizienter und kostengünstiger werden.

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finaler Text, Gründungsversammlung des Vereins «Würde im Alter (WIMA)», 14. Mai 2025 Kontakt:
info@wima.ch